Interview

Die grüne Stadt der Zukunft – Interview zur Quartiersentwicklung

Interview mit Frau Dr. Simone Linke, Mitarbeiterin des Lehrstuhls für energieeffizientes und nachhaltiges Planen und Bauen an der Technische Universität München. Die Stadtplanerin hat am interdisziplinären Projekt „Grüne Stadt der Zukunft“ gemeinsam mit Wissenschaftler*innen und Expert*innen mitgewirkt.

Was erwarten Sie in den nächsten Jahren, wenn es bei der Stadtplanung in München ein „weiter-so-wie-bisher“ geben wird?
Wir erwarten weitere Wetterextreme – steigende Hitze und Starkregen. Wenn wir nicht sofort etwas verändern, werden wir die Folgen der Klimakrise nicht mehr steuern können. Ein Beispiel ist die Flutkatastrophe im Ahrtal. Das war bereits extrem schmerzhaft und teuer. Klimaorientierte Quartiersentwicklung kann zwar zunächst einmal mit mehr Kosten verbunden sein, aber langfristig wird ein „weiter so“ für uns viel teurer werden.

Was ist die „Grüne Stadt der Zukunft“?
In einer interdisziplinären Gruppe1 aus Bildung und Forschung haben wir in den vergangenen drei Jahren Lösungsansätze zum Umgang mit Klimawandelfolgen in wachsenden Städten, speziell in München entwickelt. Wir haben viele gute Ansätze zum Umgang mit Klimawandelfolgen in Nachverdichtungsprojekten gefunden, vor allem auch durch die Stärkung der grünen Infrastruktur. Ein großer Vorteil dabei war, dass München hier bereits sehr aktiv ist, zum Beispiel gibt es für die Stadt Klimafunktionskarten, die es in vielen Städten noch nicht gibt.

Sie haben sich sechs Münchner Stadtquartiere im Rahmen des Projektes angeschaut. Gibt es Quartiere, die für die Zukunft gerüstet sind? Wenn ja, warum?
Es gibt bereits zukunftsweisende Projekte, beispielsweise von der Genossenschaft Wagnis oder auch Greencity e.V. hat durch das Begrünungsbüro viele wertvolle grüne Maßnahmen in der Stadt München umgesetzt. Sehr schöne Ansätze findet man auch im Projekt Neufreimann, der ehemalige Bayernkaserne. Wir arbeiten im Forschungsprojekt auch in „Reallaboren“, u.a. in Moosach, in der Heltauer Straße oder im Südlichen Bahnhofsviertel, wo wir vor Ort durch unterschiedliche Methoden und Maßnahmen die Planung für grüne, lebenswerte Quartiere begleiten.

Was sind lebenswerte Quartiere in Zeiten des Klimawandels, wie können sich Städte an den Klimawandel anpassen?
Lebenswerte Quartiere haben viel Grün. Aber grün ist nicht gleich grün. Wir brauchen Bäume zum Schattenspenden, Dachbegrünungen, die Starkregen auffangen, Wiesen und Rasenflächen, die besonders im Sommer nachts für Kühlung sorgen. Das dient auch der Biodiversität und der Artenvielfalt.

Dabei geht es auch um Flächenverteilung. Wir brauchen alternative Mobilität, Share-Mobilität, damit die Straßen wieder den Fußgänger*innen und den Kindern zur Verfügung stehen und durch weniger ruhenden Verkehr dann auch wieder Flächen entsiegelt und begrünt werden können.

Offensichtlich gibt es noch viele Hindernisse auf dem Weg zu grünen Städten zu überwinden. Wo liegen diese? Welche Akteure sind gefragt? Welche Regularien müssten verändert werden?
Hürden gibt es ganz viele. Da sind schon mal die rechtlichen Herausforderungen. Das Baugesetzbuch sieht vor, dass viel Wohnraum entstehen soll. Da bricht das Baurecht das Baumrecht – grau vor grün.  Das können Kommunen aber gar nicht ändern, weil es auf Bundesebene geregelt wird.

Dann geht es um Verantwortungsbereiche. Schäden durch Unwetter zahlen nicht Bauherren, sondern Versicherungen.

Ein weiteres großes Problem ist, dass jeder Fachbereich sehr eingeschränkt denkt, egal ob wir von Verwaltung, Wissenschaft oder Investoren sprechen. Es braucht für die große Herausforderung Klimawandel systemische Lösungen. Wir müssen es ganzheitlich betrachten und viel mehr interdisziplinär Zusammenarbeiten.

Kann die Stadtbevölkerung den Prozess grüner Quartiere begleiten?
Es macht Sinn, die Bevölkerung in die Projekte einzubinden. Prinzipiell erschreckt die Nachbarschaft immer, wenn sie das Wort „Nachverdichtung“ hört. Bau ist grau. Das muss aber nicht so sein, es kann auch grüner werden und für Anwohner*innen ein Mehrwert entstehen. Da ist es gut, frühzeitig die Menschen mit einzubinden. Auch die Erfahrungen von Bewohner*innen können für den Bauherr wertvoll sein. Dafür braucht es ein gutes Quartiermanagement, die diese Prozesse begleiten, besonders auch, wenn Grünflächen dann nach dem Bau für die Bewohner*innen zur Verfügung stehen, wie beispielsweise „urban gardening“.

1Das Projektteam bestand aus der Technischen Universität München (TUM), dem Institut für Soziologie der Ludwig- Maximilians-Universität (LMU), dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und der Landeshauptstadt München, vertreten durch das Referat für Stadtplanung und Bauordnung (PLAN) und das Referat für Klima- und Umweltschutz (RKU).

Am 13. Oktober 2022 findet u.a. mit Dr. Simone Linke eine Veranstaltung zum Thema „Quartiersentwicklung in Zeiten des Klimawandels“ in München statt.

Weiteres Interview zu diesem Thema: Quartiersentwicklung in Zeiten des Klimawandels – Gespräch mit Joachim Jaenicke von der Büschl Unternehmensgruppe und Rüdiger Schätzler von CA Immo.