Interview

Mobilitätskonzepte sparen Wohnkosten und reduzieren die Versiegelung

Paul Bickelbacher

Gespräch mit Verkehrsexperten Paul Bickelbacher 

Vor wenigen Wochen haben wir mit SPD-Stadtrat Andreas Schuster über die Verkehrssituation in München und über Mobilitätskonzepte im Quartier gesprochen. Das Thema ist in der Stadt viel diskutiert, so dass wir dazu auch Stadt- und Verkehrsplaner und Stadtrat der Grünen Paul Bickelbacher befragt haben.

Ist der wachsende Verkehr in München noch zu bewältigen oder wie kann die Verkehrswende in Deutschlands Stauhauptstadt gelingen?

Paul Bickelbacher: Der Verkehr nimmt zu, weil die Bevölkerung wächst und zum Teil auch, weil wir lange Zeit zu wenig kompakte und funktionsgemischte Quartiere gebaut haben. Viele aktuelle Planungen gehen aber in die richtige Richtung einer dreifachen Innenentwicklung mit den Elementen

– qualitätsvolle Nachverdichtung
– Verbesserung der Grünausstattung
– Verkehrs- und Mobilitätswende.

Um eine verlässliche Mobilität für eine funktionierende Stadt zu gewährleisten, brauchen wir einen Ausbau des ÖPNV sowie des Fuß- und Radverkehrs und eine Reduzierung des flächenintensiven Autoverkehrs. Insgesamt sollten wir künftig mit weniger Verkehrsflächen auskommen, um Raum für Entsiegelung und Begrünung zu erhalten bzw. zu schaffen.

Die Ziele sind ehrgeizig: Bis 2025 sollen mindestens 80 Prozent des Verkehrs in der Münchner Innenstadt durch abgasfreie Kraftfahrzeuge, den öffentlichen Personennahverkehr sowie den Fuß- und Radverkehr ersetzt werden.1 Das klingt nach einer echten Verkehrswende, die in zwei Jahren umgesetzt werden soll. Da müsste schon ein Wunder geschehen!?

Paul Bickelbacher: Der Zeitraum bis 2025 ist leider schwer zu erreichen, vor allem weil uns die Pandemie einen Strich durch die Rechnung gemacht hat mit dem Fahrgastrückgang im ÖPNV – und jetzt haben wir auch noch einen Fahrer*innenmangel. Beim Fuß- und Radverkehr hat uns die Pandemie gute Zuwächse beschert. Innerhalb des Mittleren Rings nimmt der Autoverkehr ab, so dass wir hier gut auf die Flächen des Autoverkehrs zugreifen können.

An welchen Stellschrauben würden Sie für eine sofortige Verkehrswende drehen?

Paul Bickelbacher: Wir haben bereits damit begonnen, den Ausbau öffentlichen Verkehrs zu beschleunigen, damit er zuverlässiger wird. Wir haben die Parkgebühren für Autos von 1 auf 2 Euro erhöht. Die Parklizenzen sollten auch erhöht werden, aber da stellt sich der Freistaat noch quer. Wir eröffnen viele Car-Sharing-Stationen, damit man nicht mehr auf ein eigenes Auto angewiesen ist. Sehr schnell könnte auch mehr Tempo 30 helfen, wenn der Bundesverkehrsminister mit einer reformierten Straßenverkehrsordnung endlich die Grundlage dafür schafft. Auch mehr Bike+Ride und einfache Maßnahmen für ein besseres Radverkehrsnetz in den Außenbezirken schnell wirken.

Welche Rolle spielen Mobilitätskonzepte in bestehenden und neuen Quartieren für die Mobilitätswende?

Paul Bickelbacher: Mobilitätskonzepte sparen Wohnkosten und reduzieren die Versiegelung, weil weniger Parkplätze gebaut werden müssen. Car-Sharing, mehr Fahrradstellplätze und eine gute ÖPNV-Anbindung lenken das Mobilitätsverhalten in eine zukunftsfähige Richtung. Die Lebensqualität im Neubaugebiet selbst steigt und die Nachbarschaftsquartiere freuen sich über weniger Autoverkehr.

Wie lässt sich Verkehr steuern? Das war auch eine zentrale Frage beim Bau des Prinz-Eugen-Parks. Nach einer Verkehrszählung wurden vor Baubeginn noch 8.800 motorisierte Fahrzeugbewegungen pro Tag in und aus dem Quartier prognostiziert, die Erhebung im vergangenen Jahr ergab 4.500. Das ist eine ermutigende Nachricht. Worin sehen Sie das Erfolgsrezept?

Paul Bickelbacher: Der Prinz-Eugen-Park verfügt über eine gute Straßenbahnanbindung und eine junge Bevölkerung, die der Mobilität zu Fuß, mit dem Fahrrad und dem ÖPNV gegenüber sehr aufgeschlossen ist. Einkaufsmöglichkeiten, Kindertagesstätten und eine Grundschule sind im Quartier vorhanden. Naherholung ist vor Ort möglich, auch Car-Sharing gab es von Anfang an. Wer kein eigenes Auto hat, ist in der Regel umwelt- und stadtverträglich unterwegs.

Auch in der Eggarten-Siedlung gibt es Befürchtungen, dass der ohnehin schon starke Verkehr im Norden der Stadt noch einmal massiv zunimmt, wenn etwa 4.400 Menschen zuziehen. Was kann die Eggarten-Siedlung vom Prinz-Eugen-Park übernehmen oder gar verbessern?

Paul Bickelbacher: Im Gegensatz zum Prinz-Eugen-Park mit seinen Tiefgaragen arbeiten wir im Eggarten mit Quartiersgaragen, ähnlich wie im weitgehend autofreien Vauban-Quartier in Freiburg. Der Weg zum Auto ist noch etwas weiter, insofern sollte es im Verhältnis eher weniger Autoverkehr geben. Die Quartiersgaragen haben den Vorteil, dass die Straßen im Quartier als verkehrsberuhigte Bereiche gestaltet werden können. Dies eröffnet erhebliche Gestaltungsspielräume. Die Straßen kommen mit weniger Versiegelung aus und werden grüner.

In der Eggarten-Siedlung soll ein reduzierter Stellplatzschlüssel angewendet werden. Dies führte in der Vergangenheit auch in anderen Projekten zur Kritik. Im Domagkpark zeigt sich, dass dies der richtige Weg ist, dort stehen immer wieder Parkplätze leer. Glauben Sie dass dies auch in der Eggarten-Siedlung gelingen kann?

Paul Bickelbacher: Ja, auch weil wir mit jedem neuen Quartier dazulernen.

Wie wird sich die Verkehrssituation in München im Jahr 2030 verändert haben? Ihre Vision?

Paul Bickelbacher: Bis dahin verkehren viele neue Trambahnlinien und es wurden zahlreiche breite Radwege gebaut, die ein entspanntes Radfahren ermöglichen. Mit breiten Gehwegen, schattigen Alleen und vielen Querungshilfen ist die Stadt deutlich fußgänger*innenfreundlicher und damit inklusiver geworden, die Aufenthaltsqualität in den Straßenräumen hat sich verbessert. Autos fahren überwiegend elektrisch und fast überall mit maximal 30 km/h. Lastenräder haben einen großen Teil des Lieferverkehrs übernommen.

1 Dieses Ziel wurde aus dem Bürgerentscheid 2017 „Sauber sog i“ übernommen.

 

TZ: Mobilitätsstrategie am Prinz-Eugen-Park geht auf ‒ Probleme nur beim Parken unter der Erde